Tagebücher März bis September 1943

Das Heft ist im Nachlass Carl Schmitts unter der Signatur RW 265-19618 archviert und hat zwei Textebenen. Carl Schmitt benutzte es zwischen dem 9. März 1943 und dem 22. Januar 1944 als Tagebuch und gleichzeitig von April 1943 bis etwa Mitte Januar 1944 für die Niederschrift von nicht streng datierten Arbeitsnotizen.

[1]Nordrh.-Westf. Hauptstaatsarchiv
[2]RW 0265
[3]Nr. 19618
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[1]. Lang geschlafen, nach dem Frühstück herrlicher Spaziergang mit Jup über den Eschen, Blick auf die Wilde Wiese, über den Saley und Basaltgrube zurück. [2]Schöner Rehbraten, nachher geschlafen, schöner Kaffee, (mit Lang, der Frau von Schwiegermutter von Otto Schmitt, die das Kind brachte und dem Urgroßvater zeigte). [3]Dann wieder Spaziergang den Eschen herauf. Abends gut gegessen, zu viele Preiselbeeren. Telegramm von Georgescu (französisch, danke).

[4]. Scheußlicher Durchfall, wieder ganz deprimiert, Gefühl, nach Berlin fließen zu müssen. Schade wegen Siedlinghausen. Vormittags [5]im Bett, meine neuen Schuhe angezogen und mit Jup etwas über den Eschen, die Schuhe sind schön. Nach dem Essen wieder geschlafen, [6]um 5 kam Frau Pfeiffer und beklagte uns und die Zeit; sehr nett und auch sympathisch. Dann aufs Abendessen gewartet, Ännchen spendierte [7]eine Flasche Rotwein, die mich kurierte, Jup nach dem Essen eine Flasche Cognac. Ob die Bulgaren sich für Deutschland entscheiden? Brief von Niedermayer, [8]heute morgen von Popitz, der wegen der Kisten mahnt. Duschka war bei dem Vertrauensmann von Schadeund besorgte eine Fahr[9]gelegenheit. Rührender Brief von der früheren Köchin Martha.

[10]. Es ging besser, aber ich muss nach Berlin. Traurig und deprimiert, Verhandlungen mit der Fahrgemeinschaft, [11]entsetzlich; furchtbare Angst. Hatte mich schon für die Reise nach Siedlinghausen heute Mittag angezogen. Sehe die lächerliche [12]Lage eines Menschen, der nach seinen Möbeln jagt. So endet es doch immer, trotz aller Tüchtigkeit Duschkas. Völlig wehrlos und [13]zum Untergang verurteilt. Mit Jup Spaziergang, an der Sparkasse vorbei, über den Graben, bei Ostermann Bier getrunken, nach dem Essen wieder geschlafen, immer deprimiert. [14]Um 4 mit Duschka zur Post und zur Sparkasse; bei Frau König noch ein sehr schöner Hut, das freute mich und tröstete mich; am Bahnhof Zigarre bei Frau Neuhausser, [15]zu Hause schöner Kaffee, munter, einige Briefe geschrieben und Postkarten (an Bodin, den durchgefallenen Juristen; an Friedensburg, Gratulation zur Vermählung, [16]Karten an Frau von Schnitzler, Paul Adams, Werner Weber), an Janssen nach Bremen, so schnell gerät man wieder in den Betrieb. Schäme dich, Schwätzer. [17]Mit Jupp noch zur Post, bei Ostermann ein helles Bier getrunken, Gespräch mit Karl Ostermann, der Finanzamtsvorsteher in Saybusch gewesen ist. [18]Ein sympathischer Junge und seine westfälische Charakterfestigkeit. Zu Hause eingepackt 30 rumänische Kinder sind hier Raum, nach dem Essen hatte Ännchen Wacholder besorgt, den wir zusammen tranken, Aufstand in [19]Jugoslawien. Duschka schrieb noch an Frau Hahm. Ging um 12 zu Bett und konnte nicht einschlafen. Traum von Popitz und den Sowjets.

[20]. Erst gegen Morgen eingeschlafen. Traum der Zerstörung: wohne mit Duschka und Anima in einem Mietshaus im 4. Stock [21]hoch oben, überall rings Ruinen, unsere Wand bricht zusammen, der Zimmerboden hält nicht mehr. Nachher Traum: Zigeunerzirkus, man [22]fasst mich an die Geschlechtsteile; um 6 ½ aufgestanden, ziemlich frisch durch den Kaffee, mit Duschka, Üssie, Jup und Anni, Irina zur Bahn, herrlicher [23]tröstlicher Lauf auf den dunkelgrünen Bergen und hellgrünen Wiesen. Beschwor die Geister dieses Tales und dieser Berge und Wälder. Erzählte auf dem Weg zur Bahn Jup: [24]wie trübe Illusionen usw.; bis Hagen ganz bequem, in Hagen umgestiegen, nervös, aber einen guten Platz gefunden, langweilig, Depressionen [25]der Reise, grauenhafte Situation, oft ganz deprimiert, die dummen Gesichter, das schöne Land an der Weser, alles schneidet ins Herz, die Nachricht aus [26]Salerno. Bis Braunschweig ging es gut, aber mein eigentlicher Akt beginnt erst morgen. Neurotische Schuldgefühle gegenüber Duschka. Angelus gebetet, [27]aber hilflos, nicht wie in Plettenberg. Ruinen, in Minden schon; die 30 rumänischen, vergessenen Kinder. Zwischen Braunschweig und Magdeburg wurde ein [28]Junge, der 1. Klasse nachgelöst hatte und mit seiner Mutter fuhr, ohne Pass bei der Passkontrolle gestellt. Er war [29]nicht Soldat und nicht Arbeiter; sah aus wie ein Rumäne; die Mutter sagt ihm Magdeburger Friedendie Nachtdurch. Sofort mein automatischer [30]Impuls. Alles bricht auf. Immer wieder über diesen Fall nachgedacht. Aber der junge Mann war bei der geheimen Staatspolizei, und so war mein Affekt

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[1]wieder einmal lächerlich gewesen. Im Abteil eine weinende Frau mit auffallender Ähnlichkeit an Frau Jünger, auch in der Sprache; trotzdem aß ich meine Brötchen [2]und mein Ei. (Mischung von Frau Hahm und Frau Jünger, die Erregung g.d.p.). In Berlin meine Koffer geschleppt, schwitzend und traurig, [3]der Gepäckträger verlangte Zigaretten, die ich nicht hatte. In der U-Bahn bis Breitenbachplatz. Dann die Brentanostraße hinauf, die schweren Koffer geschleppt. Um 2 war ich da, [4]Corrie begrüßte mich sehr nett, ich kleidete mich um, Popitz kam um ½ 8, wir aßen zu Abend, nachher tranken wir Tiroler Landwein. [5]Wunderschön, aber Popitz war müde, ich auch. Niemand konnte helfen. Nun warte ich auf morgen. Hörte in Brandenburg, dass die Firma Opel 4-5 km [6]zum Bahnhof entfernt war. Um 11 kam Fliegeralarm, jetzt hast du es, Dummkopf. Alles wurde in den Luftschutzkeller gepackt, dort traf ich auch den [7]Oberbaurat Hodler, der bei Popitz wohnt. Im Luftschutzkeller tranken wir weiter unseren Rotwein und unterhielten uns, über die ‚Hohlheit‘ der heutigen Baukunst. [8]Sehr nett. Popitz war rührend, alle wollen helfen, aber keiner kann es. Um ½ 2 war Entwarnung und wir gingen zu Bett.

[9]. Um 8 aufgestanden, obwohl ich nicht viel geschlafen hatte. Aber aktiv, wollte etwas tun und war verbissen. Trank mit Popitz Tee, er fährt [10]nach Neuruppin zu seinem Sohn. Ich meldete ein Ferngespräch nach Brandenburg an. Telefonierte mit den Henschel-Werken, Herr Ammers war sehr nett, wollte wieder [11]anrufen, rief auch nach einiger Zeit an, aber er kann leider nichts machen, ist sogar strafbar usw. Also das ist nichts. Depressionen, warum begibst du dich in solche Lage, [12]du wusstest es doch. Bei meldet sich niemand; auch nicht in der rumänischen Gesandtschaft, ebenso Winckelmann, Ungewitter. Das Gespräch mit Brandenburg kam [13]endlich, ein Herr Frey, wollte heute Nachmittag nochmals anrufen, also auch das nichts, dann ging ich zum Alten Krug, sah die guten Möbel, Bücher usw. Und war [14]ziemlich gleichmütig; muss eine Erlaubnis haben, um an die Sachen heranzukommen. Ging dann Nahm mir den Diskriminierenden Kriegsbegriff mit, ging [15]zur Kaiserswerther Straße, sah das zerstörte Haus, holte den Nolde heraus, ging durchs zerstörte Zimmer und schleppte den Nolde und den verlorenen Sohn von [16]Bosch nach der Brentanostraße; das Haus von Werner Weber ist auch stark beschädigt, besonders das Esszimmer. Der Schlag gilt mir; ich bin der verlorene Sohn [17]das Bild von Bosch wird immer schöner und entzücklicher, anzüglicher. Aß mit Spohr zu Mittag, schlief dann gut bis 5, trank Tee und ging mit dem Oberbaurat zum Alten Krug, [18]besahen die Sachen, ging zu meiner Wohnung, holte noch den Brief, den ich Duschka am 17/9 23 geschrieben habe (aus Westfalen, über Grabbe und Bojić), durch den [19]guten Oberbaurat wieder etwas getröstet und gestärkt. Nach dem Abendessen Moselwein getrunken, um 11 war wieder Alarm, im Luftschutzkeller, [20]um ½ 1 war es zu Ende. Corrie war entzückend, aber ein wenig überdreht, überbelichtet.

[21]. Morgens herumtelefoniert, der Oberbaurat ist zum Bezirksamt Zehlendorf gegangen und hat die Erlaubnis bekommen, meine Möbel [22]zu besichtigen. Damit war mir ein Gang abgenommen. Ich fuhr mit einem Koffer zur Huttenstraße und holte dort, 4 Treppen hoch, die gereinigten Kleider für Duschka [23]ab. Schleppte mich ab; rührend diese fleißigen Leute; die bar 56 Jahre werden eingezogen. 2 Franzosen, wie in Paris aufgemacht, in dem zerstörten Moabit. [24]Mit dem Autobus T zurück, um 1 wieder zu Hause und mit Spohr zu Mittag gegessen. Dann geschlafen, inzwischen ist Frau Hahm gekommen. Um ½ 5 zu ihr, sie war nett, [25]aber dann wird sie wieder zu laut und aktivistisch, herrlicher Kaffee, sie erzählte von Jelena als Diebin, aber es ist nichts geschehen, traf ging dann mit ihr zum Autobus; [26]fuhr nach dem Wilden Eber, in der Amselstraße, wo Weber-Schumburg mich abholte. Die Bücher liegen in dem Keller von Holler (ein herrliches Haus, aber auch [27]Höhle!). Im Keller, leider ist die Korrespondenz ganz sinnlos (er sagt, Frau Hahm hätte bereits alles eingepackt gehabt (als er kam). Die Sachen [28]von dem dummen Sobotta gerettet! Nichts von Jünger, nichts vom Nomos usw. Unterhielt mich mit Weber-Schumburg, der müde und traurig ist (Waffenstillstand mit Westländern) [29]Verhaftung, zeigte den Brief von Jünger. Dann zurück, zu Abend gegessen, mit dem Baurat eingehend erörtert, wie der Transport stattfinden soll. [30]Er ist ganz rührend. Eingepackt, dann mit dem Gast von Popitz, Langbehn, humanistische Bildung, über Bilder unterhalten, der Flötenspieler heraufgeholt, den Nolde, große Diskussion [31]über Malerei, schöner Rotwein dazu. In herrlicher Stimmung zu Bett und wunderbar geschlafen. Den Alarm überhört, aber um ½ 3 trommelte [32]Popitz mich aus dem Bett und wir mussten wieder für eine Stunde in den Luftschutzkeller. Halb im Schlaf, Corrie lernte hic haec hoc. [33]Las Goethes Römische Elegien. Scheußlicher Priap.

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[1]. Todmüde um 8 aufgestanden, nicht ausgeschlafen, aber eine deprimierte Verbissenheit, wegen der Kisten mit Jena telefoniert, sie wollen [2]sie holen, warte auf den Anruf, mit Brandenburg telefoniert, mit dem Spediteur Eigler, der mich an die Bahn verweist. Traurig auf Telefongespräche [3]gewartet, Frau Hahm rief ununterbrochen an. Kein Schlafwagen für Montag. Werner Weber schrieb und lädt mich nach Leipzig ein. Hatte [4]Lust, über Leipzig nach Hagen zu fahren. Wartete 2 Stunden auf den Anruf der Transportleute wegen der Kisten, es stellte sich heraus, dass ich keine [5]Schlafwagenkarte bekomme, allmählig entschlossen, trotzdem des Nachts zu fahren. Mit Popitz und Spohr zu Mittag gegessen, dann etwas geschlafen. [6]Um 5 Tee und mit Oberbaurat Hodler zum Alten Krug, 2 Stunden lang 2 Kisten mit Büchern angefüllt, aber das ging zu langsam. [7]Die Arbeit tat mir aber gut, die nette Unterhaltung mit Hodler (sein Vater war Zentrumsabgeordneter), die Nähe der katholischen Kirche, um ½ 8 [8]fuhren wir nach Hause und aßen schön zu Abend mit Popitz, nachher bei einer Flasche Okfener noch ein schönes Gespräch (Popitz [9]will seine Memoiren schreiben, erzählte von Erzberger, Brüning). Wartete, ob kein Alarm kommt, telefonierte um ½ 12 [10]mit Cloppenburg Anima war am Telefon, verliebt in diese Stimme und diese schnippige Mädchenhaftigkeit. Todmüde mit Popitz [11]bis nach 12 gewartet, dann zu Bett. Popitz meinte, ich dürfte mich nicht beurlauben lassen, das wäre Waffenstreckung.

[12]. Gut ausgeschlafen, sogar behaglich, um ½ 10 aufgestanden und gut zurechtgemacht. Das Aushalten ist mir [13] lange bewußt, wo ist also der Halt? Werde mit halbgutem Gewissen abreisen; hoffentlich gibt es diese Nacht keinen Alarm. [14]Fuhr nach dem Frühstück mit dem Oberbaurat zum Alten Krug, wir nagelten 2 Kisten Bücher, aber das Aussuchen hat keinen Zweck und dauert zu viel Zeit, immerhin [15]einiges gefunden, aber nicht die Korrespondenz Jüngers, nicht B.C.Benito Cereno. Zum Essen um 1 nach Hause. Ahlmann kam und von Popitz zum Essen [16]eingeladen, wunderschön. Sprachen über Mussolini, Geschichte (die englischen Flieger bitten um Nachtquartier, das Flugzeug im 4. Stock). Müde, [17]nachher noch schöner Kaffee, Popitz sehr lieb. Ich begleitete Ahlmann noch bis zum Breitenbachplatz, unterwegs erzählte ich ihm 2 3 Wünsche, [18]er sprach von Averroismus, von Stimson, der freier wäre als in gleicher Weise Europa, meinte, dass Stalin keinen [19]Frieden mit Deutschland machen kann. Ruhte zu Hause einen Augenblick aus, um 5 zu Frau Hahm, dort Auguste von Oertzen, wieder herrlicher Kaffee, mit [20]Frau Hahm in die Kaiserswertherstraße, dort das Bündel mit Verwaltungsrechtsvorlesungen, Hobbes usw. gefunden, alles nass und in einem [21]scheußlichen Zustand, Weber-Schumburg hat es liegen lassen, die Fotomappe der Judenfrage von Bauer lag auf der Straße! Hob sie auf, brachte alles [22]zu Popitz. Dort mit Popitz und Corrie zu Abend gegessen, nachher eine Flasche Rheinwein, bis 12 gewartet, Witze [23]erzählt, (Graf Bobby, die Standuhr).

[24]. Nicht ausgeschlafen, um 8 auf, mit Popitz gefrühstückt, dann telefoniert, zur Bank, 1000 Mark [25]abgehoben, zum Bristol Haareschneiden, Brinkmann gesehen ( wie fromm sagte er, als ich sagte, es bleibt einem nichts anderes übrig). [26]Etwas enttäuscht von ihm. Wartete auf Fräulein Samić, Novákov kam erst nach 12, war rührend, erzählte von den Spielregeln [27]der Serben. Es regnete in Strömen. Zu Pfeiffer, Entschädigungsantrag (200.000 Mark und 200 Flaschen) [28]Ambour war auch da. Um ½ 2 holte mich Hodler im Wagen ab, wir fuhren zu Popitz, aßen Reh zu Mittag. Dann

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[1]meine die Koffer als Passagiergut zurecht gemacht und durch Hodler besorgt. Das ist eine unglaubliche Hilfe. Als er vom Bahnhof Steglitz zurückkam, [2]fuhren wir zu Frau Hahm und tranken Kaffee. Hodler fuhr in die Oper (Traviata), Frau Hahm erzählte (ihre Tochter wird zum 3. Mal heiraten) [3]wir gingen noch bis zum Alten Krug, der abgeschlossen war, ich suchte die Schlüssel meines Schreibtisches, es passte aber keiner. Dann zu Popitz [4]zurück, zu Abend gegessen, vorher schönes Gespräch mit Corrie über Hans, über Sanssouci, ein liebes, rührendes Kind. um 8 [5]kamen Blötz und Weber-Schumburg und holten mich ab, Popitz unterhielt sich nett mit ihnen (der entzückende Blötz erzählte von [6]der Unterbringung des Justizministeriums bei Torgau), tranken einen Cognac, dann fuhr uns Ackermann zum Bahnhof Zoo, alles [7]klappte großartig, auf dem Bahnhof warteten wir auf den Zug, tranken meinen Wacholder, zeigte Blötz den Brief von Jünger, über BCBenito Cereno. (er meinte, [8]sofort vernichten, Weber erzählte von Streint (ein jüdischer Rabbiner hat ihn studieren lassen.) dumm. Dann im Schlafwagen (den ich durch [9]Haenl noch bekommen habe), mit einem rührenden Rittmeister Geinsmer, etc.. In Hamm war Entwarnung, bequeme Fahrt.

[10]. Um 6 ¼ in Hagen, 7.12 weiter nach Plettenberg. An Duschka eine kurze Karte geschrieben. Es läutete, hielt das für den [11]Angelus, es war aber nur das Läuten von Lokomotiven. Wieder in Westfalen. Wie lange noch (die letzten Wochen, wie Weber meinte) [12]todmüde die Strecke nach Plettenberg heraufgefahren. Tief glücklich beim Anblick der Berge an der Lenne und der melancholischen Wälder. Kam ½ 9 in [13]Plettenberg an, schleppte mit verbissenem Eifer meine beiden Koffer zum Brockhauser Weg, aß schön zu Frühstück, Kaffee, glücklich, wieder zu Hause zu sein. [14]Keine besondere Post, nette Einladung von Frau von Schnitzler, für Oktober. Mit Jup geplaudert, die scheußliche Rede Churchills (erst 44 zu Ende) er ist doch nicht mehr [15]als der Clemenceau des Britischen Weltreiches. Nach dem Mittagessen 3 Stunden geschlafen, zur Bahn, 3 Koffer sind angekommen, Spaziergang nach Böddinghausen und Papenkuhle, [16]das herrliche Tal der Lenne von Bleiber bis zum Sundern, abends erst Moselwein, dann 2 Flaschen Rotwein (der gute Medem hat 2 Kisten geschickt) [17]freute mich über Jup, bis 12 Uhr, zuviel Wein. Nicht an Popitz geschrieben. (Jup stellt einen Ackerer zur Rede, der ein Pferd schlug, und doch er trieblahm und das Pferd wie Luft wäre ich sah, dass er mutiger ist als ich.

[18]. Erst ½ 11 aufgestanden, etwas Kopfschmerzen, Behagen, aber es ist schon Herbst und im Haus kalt. Was will der hier; Was soll das hier. Die 4 [19]Koffer kamen an, Gott sei Dank. Schönes Frühstück, dann mit Jup auf den Ibsenstein; kalt, aber klares Wetter und schöner Blick auf [20]die Berge. Völlig zerschmettert. Mittags kam etwas Sonne. Schrieb an Duschka und warte auf sie. Will zu Schranz nach Siedlinghausen. Nachmittags lang [21]geschlafen, dann ein herrlicher Spaziergang mit Jup über den Böddinghauser Weg, durch Kersmecke über die Fahnenstange auf den Hestenberg. Da waren wie Kinder [22]die hofften, in den Ferien käme ein Erdbeben und die Schule fällt ein. Abends 2 Flaschen Moselwein getrunken, mit dem Vater Skat gespielt, [23]früh zu Bett; etwas erkältet und Schnupfen.

[24]. Schnupfen, aber herrliches kaltes Wetter, Erinnerung an die Ferien meiner Jugendzeit. Frisch aufgestanden, [25]schön gefrühstückt, Brief an Popitz und Hodler geschrieben, mit Jupp einen Spaziergang zum Eschen. Brief von Niedermayer (über die [26]Unterschätzung Russlands) Nachricht vom Tode von Bruns, der am 19/9 in Königsberg gestorben ist. Werde also endlich [27]bescheiden und warte ab. Es ging mir nahe, dachte nach über den Alpdruck Z. Edme, Hirngespinste, schäme dich; Angst [28]um den schönen Posten, wer wird jetzt Direktor des Instituts und der herrlichen Bibliothek? Jetzt rutscht auch dieses Gebäude zusammen. Nach dem Mittagessen

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[1]etwas auf dem Sofa geschlafen, dann gingen wir über Leinschede, Sewerinshagen, Hohe Wibbecke, Saal, Lenscheide nach Rönkhausen. [2]Dort kaufte sich Jup ein halbes Pfund Speck. Mit der Bahn nach Hause zurück. Todmüde, Flasche Weiß-Wein getrunken und schon um 9 ins Bett. Herrlicher Spaziergang [3]bei wunderbarem, gläsernen Wetter; die Sonne lachte rätselhaft. Gefühl, dass der Genius dieser Gegend über Lenscheide mir feindlich ist. Etwas erkältet und Schnupfen.

[4]. Jahrestag der Hochzeit der Eltern, um 6 aufgestanden und mit Jup, Üssie und Ännchen in die Kirche, zum Hochamt. Es war sehr kalt, [5]voller Nebel, nachher behaglich gefrühstückt, mit Jup herumgelegen und geplaudert (6 Millionen Arbeitslose, 6 Millionen Tote und Verstümmelte, [6]das geht auf). Nach dem Essen etwas geschlafen, dann kam die gute Claire aus Cloppenburg zurück, gab ihr einen Kuss; wir holten das Gepäck, Duschka hat 7 [7]Enten mitgebracht. Rührend. Wir tranken schön Kaffee, dann rupften die Frauen den ganzen Nachmittag Enten, während ich und Jup über den Graben zum Böhl gingen. [8]Herrliche, gläserne Luft, unbeschreiblich großartig diese Höhenzüge der Lenneberge, sehr schönes Abendessen, trank viel Wein, freuten uns des [9]letzten Abends der Ferien, was mag in einem Jahr sein, hoffentlich sind wir da über den Berg; bis 12 Uhr, schön im Bett Koitus, wundervoll.

[10]. Trotz des Schnupfens behaglich geschlafen, schönes Frühstück mit Duschka, Claire, Jup, letzter Vormittag mit Jup. Will mit ihm [11]nach Olpe fahren. Schöner Brief von Reuschenbach, der Kaffee schicken will, großartig; Brief eines Herausgebers einer Geschichtslehrerzeitschrift, der meinen Aufsatz über staatliche Souveränität [12]und freies Meer bewundert. Das freute mich doch. Armes Karlchen. Dicker atlantischer Nebel des Sauerlandes. Freute mich über die gute und vernünftige [13]Duschka. Mit Jup herumgelegen, er ist traurig und deprimiert, weil er abreisen muss, hat aber andererseits doch wieder das Bedürfnis nach Berufsarbeit. Wir aßen [14]eine schöne Ente zu Mittag und tranken Wein dazu, dann begleiteten wir Jup und Claire zur Bahn, mussten lange warten, Otto Schmitt kam noch, wir brachten die Beiden [15]in den überfüllten Zug, Duschka glaubte Oberheid in einem Abteil gesehen zu haben. Ging todmüde und traurig zurück und schlief von ½ 4 - ½ 7. [16]Frisch und gestärkt aufgestanden, aber immer in Zweifel, las Jordans Demiurg, allmählich doch mit Interesse (habe heute morgen [17]zu früh an Körnchen geschrieben). Schönes Abendessen ohne Wein, dann noch Jordan gelesen, traurig wegen des meckrigen Fräulein Geschke. [18]Um ½ 11 ins Bett, Duschka blieb noch mit den Mädchen auf, bis 1 Uhr. Ich schlief gleich ein.

[19]. Bis 9 im Bett, herrlich geschlafen, aber was soll mir diese Erholung und Kraft, ich hänge ja doch sozial in der Luft. Mit [20]Schreck an den Winter gedacht. Es ist kalt, die Heizung wurde schon angemacht. Schönes Frühstück mit Kaffee, sehr behaglich [21]an dem Nomos herumkorrigiert, der mir allmählig gefällt (ist wohl nur ein Zeichen meiner guten Erholung!) Schöner Brief von Friedensburg [22]aus Freiburg, der mir gefiel und seine Dissertation bald schicken will. Mit Üssie auf den Evangelischen Friedhof, Grab von Otto Kaiser. Nach dem Mittagessen geschlafen, [23]schöner Kaffee und Kuchen, Spaziergang über den Eschen an den Nordwest Abhang des Saley, Flugzeuge gehört, Einsamkeit. Zu Hause [24]war Josef Schröder, trank mit ihm ein Glas Rotwein und ließ ihn erzählen, rührender Mann. Zum Essen Rotwein, Ännchen und [25]Fräulein Geschke kamen zu spät, waren den ganzen Nachmittag weg gewesen, jetzt verstehe ich die Verlassenheit der armen Mutter bei [26]diesen ekelhaften Tunten, Ännchen hat bei Schranz in Siedlinghausen angefragt, ich will Dienstag reisen. Spielte mit dem Vater Skat, [27]die gute Duschka ist entzückend, tut mir aber leid unter den meckrigen Nutten wie Geschke und Ännchen. Hörte noch den [28]Schwätzer. Trotz der Erkältung frisch und erholt ins Bett.

[29]. Nachts etwas gefroren, sonst aber gut erholt. Frau Pfeiffer kam und sagte, wollte den [30]Regenmantel bei Frau König holen, telefonierte an Fräulein Samić und sprach mit Frau König, etwas gelesen und mein Manuskript [31]korrigiert. Wieder Lebensmut, Arbeitsfreude, im alten Stil der Gymnasiastenzeit; wie traurig ist das. Schlief nach dem Essen auf dem [32]Sofa, tiefe Depressionen, las Poe, dann etwas über Kriegsbegriffe gelesen, Papiere geordnet, wieder in der Arbeit.

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[1]Die geistige Flucht ist also misslungen. Von 6 1/4 - 7 1/4 nach dem Regen im Saley herrliche, nasse Luft, nachgedacht, manch Wichtiges, [2]aber die Flucht ist misslungen, schöner Spaziergang auf den Saley, dachte an Fritz Eisler, unsere Fahrt zu , Gespräche über die Natur, etc. von Tobias, jetzt reise ich morgen zu Schranz, von meiner Einsamkeit weg; dabei bin ich ohne peur [3]d'être seul, sondern liebe die Einsamkeit. Abends zum Essen eine kalte Ente und eine Flasche von dem Moselwein, den Medem besorgt [4]hat. Nachher eine Stunde Karten gespielt mit dem Vater und Duschka; die große Freude am Skatspielen hatte. Müde zu Bett, während Duschka noch in der Küche war und dann [5]an Fräulein Samić schrieb. Traurig wegen Ännchen, deren volle Entfremdung ich fühle; grauenhaft die Verdoppelung in den Geschwistern. Ich habe es mit [6]der fürchterlichen Cari ebenso gemacht und nun trifft mich die gerechte Antwort.

[7]. Schönes kaltes Wetter, herrlicher Kaffee zum Frühstück, Brief an Gremmels, Frau von Schnitzler, Vorlesungsankündigung [8]an die Universität geschickt, arbeitsfreudig, Schauer vor der Entfremdung mit Ännchen, trauriges Dasein eines Flüchtlings. Um 12 zur [9]Bahn nach Siedlinghausen, am Bahnhof IdaThofel getroffen. Duschka und Üssie brachten mich zur Bahn, im Zug einen Augenblick allein, schöne Ruhe und [10]Einsamkeit. In Hagen eine Stunde Aufenthalt, sehr kalt auf dem Bahnsteig, im Wartesaal auf dem Bahnhof, die armen Menschen, vergessen als Zuschauer, [11]wie arm ich selber bin. Schönen Platz 1. Klasse im Zug nach Bestwig, nett über Kriegsbegriff gelesen, vielleicht überschätze ich doch . [12]Sah die entsetzlich hässlichen Ortschaften Fröndenburg, Wickede usw. Die Zerstörung durch Möhne-Talsperreneinbruch. Angst, dass [13]diese Hässlichkeit sehr konkrete Folgewirkungen herbeiziehen muss, Zerstörungen grauenhafter Art. Menschen, die solche Häuser bauen, müssen sich [14]selbst vernichten. Neheim-Hüsten; glücklich dieser Enge entronnen zu sein, diese Fabrikanten und Fabrikantensöhne, diesen armen Geld[15]machern, diesem schweinischen Reichtum. Hübsch sind nur die Eisenbahnbeamtinnen in Hosen und Käppis. Dachte an meine [16]Jugend, an Attendorn, meine Mitschüler, meinen unbewussten Respekt vor dieser Art Reichtum, all dem bin ich entronnen, Glück und Fluch. [17]Aber was bedeutet es, dass ich jetzt dahin zurückkehre? In meine proletarische Jugend kehre ich zurück, weiter nichts. Im Zug nach Siedlinghausen [18]die lächerliche Frau, die schrie weil ihr Kind hustete. Ekelhaft, In Siedlinghausen holte mich Veronica ab, kleidete mich um, Schranz [19]kam, sprach über Konrad Weiß, Roßkopf der mich schulmeistert, nett unterhalten bis zum Essen. Nach dem Abendessen (Veronica [20]ist schwanger und ging ins Bett) 2 Flaschen Alsheimer mit Schranz, Niermann kam noch, ich sprach zu viel, bis 12 Uhr.

[21]. Bis 10 im Bett. Traum: ich bin bei Popitz im Luftschutzkeller, in Berlin, es schlägt ein, Traurigkeit [22]dass ich hingegangen bin; nachher Traum: in einem Laden wo ich Papier und Klebstoff kaufe, nett bedient [23]worden, aber irgendwie dumm und lächerlich. Frühstückte und las: Altheim, Dagobert Frey, vieles andere, sehr zufrieden, trotz [24]der kalten Füße. Gutes Mittagessen, nachher nicht zu Bett, um 3 Tee getrunken mit Schranz und Frau Senge, Niermann kam auch, hatte das Gefühl [25]lächerlich zu sein, machte einen Spaziergang mit Niermann zum Forsthaus, über alles mögliche zu viel geredet, schließlich natürlich [26]Konrad Weiß. Um ½ 7 zu Hause, umgekleidet, wir wurden gefahren, schönes Abendessen, wieder rheinhessischer Wein getrunken, [27]mit Niermann und Frau Senge, aber sehr müde, die amerikanischen und englischen Flieger flogen 1 Stunde hindurch über uns weg, Alarm, dachte mit Entsetzen an [28]Berlin und die Möglichkeit, dort zu sein. 11 zu Bett.

[29]. Wieder bis 10 im Bett und sehr behaglich. Offenbarung gelesen von Hartenstein (Korntal) erst tiefer Eindruck, dann

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[1]verging es schnell, aber doch auch mit Veronica gesprochen, will morgen abreisen. Des Nachts habe ich Irmensul [2]von Jost Trier gelesen, von Schranz untersucht Hypotonie, sonst bis nach dem Mittagessen geschlafen, (vorher Frau Wirsing, das frühere Fräulein Ewers) Tee getrunken, zu Frau Senge, [3]leider kein Konzert (Senior Walter spielte) besahen die Zeichnungen und Aquarelle von Senge, aus Sizilien, die Portraits seines [4]Vaters (wunderbar). Schranz (oberflächlich und inhaltslos) und Roßkopf, eine große Enthüllung, dieser in sich unsichere und gewalttätige [5]unverbesserliche Nazi. Der arme Niermann stimmte immer zu, ging dann mit ihm den Weg nach Bödefeld. Leider gibt es keine roten [6]Ebereschen. Müde, spreche zu viel, er sprach über die Schonungslosigkeit des Deutschen Idealismus, erkundigte mich an der Bahn, zu Hause [7]nach dem Abendessen schönen Badischen Wein und Nahewein; mit Niermann, Frau Austen. Niermann ging um 2 nach Hause, obwohl [8]Frau Austen noch blieb, fand das ziemlich unmöglich. Frau Austen äußerte ihre Verachtung für die Männer im Allgemeinen und die [9]Münsteraner im Besonderen, die träge und bequem sind. Gegen ich ins Bett. Große Liebe zu Schranz. Begegnung mit der Notiz für C. Schmitt von Weiss.

[10]. Etwas Kopfschmerzen, nachts eine Stunde Varè, Der lachende Diplomat gelesen, schönes Frühstück, Veronica [11]erzählte von der sonderbaren Begegnung in Passau mit einem Russen, der bei Duschkas Geburtstag dabei war. Niermann kam, langweilig, [12]aber irgendwie rührend. Zum Mittagessen Reibekuchen, Schranz fuhr mich zum Bahnhof, bekam keine Leberwurst mit. In der Bahn bis [13]Bestwig, müde am Bahnhof auf den Zug nach Wennemen gewartet, passiv, willenlos, lebensunfähig.

Dieser Welt miteingegoren,
ging die [14]Habe mir verloren.

[15]In Bestwig eine Stunde gewartet, die Beklemmung in dem Unflat der Großstadt zu sein, diese ausgezogenen [16]und wieder eingezogenen Massen, überfüllter Zug nach Wennemen, dort wieder eine Stunde gewartet, dann sehr erholt [17]mit der Bahn nach Finnentrop, durchs herrliche Sauerland, steil und gebirgig, Wenholthausen, Eslohe, [18]Kückelheim in Konrad Weiß Löwin gelesen, sehr ergriffen und doch ist es nur Wortgesumse. [19]Immer nach Bestätigung gesucht für mich, ‚meinen‘ Mangel. Ekel vor meinen Besitzängsten und Wünschen. In Finnentrop [20]lange gewartet, wie oft schon in meinem Leben; in Plettenberg, etwas geil. Um 7 Uhr dort, schönes Abendessen [21]mit Rotwein, hinterher großartigen Schnaps, den Angelina, etc. geschickt hatte. Währenddessen begann der Luftangriff auf Hagen, [22]um 10 Uhr sahen wir von unserem Fenster, wie Feuer vom Himmel fiel, ungeheuerlich roter Schein, schauerliche Lichtblitze, [23]Fräulein Schneider schrie und weinte, bekam einen Schnaps, ich trank noch die Flasche leer und ging zu Bett, schlug den [24]Propheten Obadja auf.

[25]. Gut geschlafen, große Begier, schöner, aber zu schneller Koitus. Der Kaffee schmeckte mir gut, etwas Post [26]von Berlin, Schulze-Thulin, widerliches Scheusal, das daran erinnert, nicht auf Recht verzichten zu können, Ekel vor diesem Betrug, [32]nach Berlin telefoniert wegen der Möbel, von Schäfers aus, ins Dorf, meinen Regenmantel bei Frau König geholt, [33]Frau Pfeiffer getroffen, bedrückt, muss Montag nach Affeln wegen der Möbel. Immer wieder:

[34]dieser Zeit miteingegoren,
[35]ging die Habe mir verloren.

Nach dem Mittagessen nicht geschlafen, etwas ausgeruht, Duschka ging zu Kinkel, ich über Böddinghausen

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[1]zum Kreuz an der Hohen Molmert. Es sieht nach Nordwesten. Große Beruhigung (Angst vor Ritterbusch, Siebert, Höhn und diesen Machern); vom Pult [2]sind die Volksschullehrer eingezogen, zum Luft-Hilfsdienst in Hagen. Züge von Verwundeten kommen. Sonderbare Kontinuität, dass ich wieder an diesem Kreuz [3]stehe, wie vor über 10 Jahren, als ich es reinschnitt. Es war jetzt dickrindig und harzig wie eine Vulva. Ich weiß nicht, was ich tue, wenn ich mich [4]berühre. Die Luft war still wie in starrer Erwartung, die Wälder waren verwahrlost, dabei so gespannt abwartend, als hielte der Wald den Atem an; [5]erstarrt von dieser menschlichen Bosheit und Gemeinheit. Ekelhafte schwärzlich-nasse Pilze schossen auf dem trockenen Boden auf. Müde zurück, ergriffen von [6]dem sauerländischen Wald und dem schönen Lennetal. Zu Hause war Emma Achterrath, ich freute mich sehr darüber, sie war sympathisch und fein, erzählte von ihren Söhnen, der [7]eine hat eine Frau aus Ragusa, der andere ist als Flieger in Sizilien gefallen. Wir tranken schönen Kaffee, dann noch eine Flasche Rotwein, begleitete sie um 7 [8]zu ihrer Wohnung, wie als Knabe von 18 Jahren. Unheimliche Wiederholung. Nach Hause zurück, Wein getrunken (morgen früh reist sie [9]über Wennemen nach Berlin, vergesse ihr Land und Meer zu geben), abends noch Skat gespielt, mit dem Vater, herumpolitisiert, [10]um 11 zu Bett.

[11]. Wunderbar ausgeschlafen, wollte um 7 aufstehen und Emma Achterrath nach Finnentrop begleiten, tat es aber nicht, an meinem [12]Nomos herumkorrigiert, herrliches Wetter, vor dem Frühstück kleiner Spaziergang. Aber oft deprimiert wenn ich an Berlin [13]denke, soll ich nach Budapest fahren? Nach dem schönen Mittagessen (furchtbare Depressionen) geschlafen, im Hause wurde grauenhaft [14]geklimpert. Josef Schröder kam zum Kaffee, ich schrieb an (Eggert, Frau Jünger, Schranz, Grauert) und ging mit [15]Duschka und Üssie zum Grabe der Mutter. Schöner Abend; die Berge schlafen immer, sind schlafende Riesen, sagte Duschka. Sehnsucht, [16]Erhabenheit. Nach dem Essen wieder mit dem Vater Skat gespielt, bis 11 (Beromünster) dann zu Bett.

[17]. Bis 10 geschlafen (nach der neuen Zeit war es aber erst 9) Traum: ein Fräulein zeigt mir [18]ein wildrotes französisches Tuch, eine Karte von Orleans, das kostete nur 1 ½ Pfennig, schöne blaue Augen, erotische Nägel [19]dann plötzlich Schluss. Stand eilig auf und frühstückte eilig, weil ich nach Affeln zum Bürgermeister soll. Immer dieselbe dumme, angstvolle [20]Eile, wegen jeder Kleinigkeit. Mit Üssie über den Graben, herrlicher Morgen, die Nebelsenke, oben klare, kalte Luft, die [21]friedliche Affelner Gegend, katholisch, ohne Industrie, herrlich blaue Berge im Nebel. Hingerissen von dieser Schönheit und eine [22]Stunde lang sehr glücklich. In Affeln erst bei Lüwers. In der Kirche; der Altar steht noch da; die rote Kommunionsdecke (Orleans), dann beim Bürgermeister, herumgesucht und ihn schließlich, als er beim [23]Essen war, zu Hause getroffen, gewartet bis er fertig war, dann hielt er uns bis 2 Uhr einen Vortrag über seine Kriegserlebnisse, [24]immer derselbe Typus und derselbe Stil, mit Menschen umzugehen, Zöberlein-Geschichte, und die Juden sind an allem schuld. Aber er versprach [25]uns einen Platz in der Schützenhalle. Traurig nach Hause zurück, Bedürfnis Schnaps zu trinken. Über den Weg nach Altenaffeln [26]durch Blemke zurück. Todmüde, zu Hause kochte uns Duschka noch eine Suppe und schönen Apfelkuchen. Schlief dann 2 Stunden, [27]todmüde, am Rücken wie gelähmt. Dazu das scheußliche Geklimper der Schüler von Ännchen, eine wahre Musikhölle, in der [28]Musik-szene von Bosch fehlt das Klavier. Um 7 wieder aufgestanden, sehr erholt, aber was soll ich tun? Angriff auf Kassel, [29]vielleicht auch Berlin? In Erwartung der Dinge; um 7 ist es schon dunkel. Jetzt kommt der Winter, Verhungern in Berlin, im Hotel,

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[1]ohne Kleider. Das ist dann Gottvertrauen, armer Mann von Plettenberg. Abends den sauren Moselwein von Medem getrunken, mit dem [2]Vater Karten gespielt, noch etwas Radio gehört (die guten Schweizer), um 11 zu Bett. Wieder hörte man die englischen Flugzeuge.

[3]. Gut ausgeschlafen, schöner Kaffee, mein Manuskript geschrieben, wollte es heute Nachmittag zu dem Rechtsanwalt Küchen [4]bringen. Dann ein herrlicher Spaziergang zum Ipsenstein, wieder ganz in der Landschaft, die Quelle meiner Kraft. Nach dem Mittagessen geschlafen, [5]wieder Angst vor Berlin. Nachricht von dem Tagesangriff auf Frankfurt. Um ½ 5 mit der armen, guten Duschka zur Stadt, beim Schuster Geck. [6]Ein fröhlicher Toskaner, mit Sauerbruchbefreundet, zum Rechtsanwalt Küchen, dummerweise mein Manuskript einem hilflosen [7]Mädchen gegeben, das wird scheußlich, bei Emil Langenbach vorbei, der aber nicht zu Hause war. Den Wall-Graben heruntergegangen und mich an meine [8]dortigen Begegnungen mit Klärchen Dierkes erinnert, schöner, ernster Abend, durch den Saley zurück, wunderbar ergriffen von den [9]Linien der Berge, das ist also meine seelische Heimat; du lebst noch in deiner Jugend, jetzt wirst du herausgeworfen. [10]Denke an die Juden in Dänemark, von denen 1000 in kleinen Booten über die stürmische Ostsee flüchteten. Trotzdem geht [11]es ihnen besser als mir. Wir sind schon im Katarakt. Seit 5 Tagen ohne Post. Das wird noch Monate dauern, wenn nicht [12]Jahre lang. Dieser war im Bösen, die anderen nur halb. Krach zwischen Ännchen und Üssie wegen des Zimmers, Üssie ist nach Hagen gefahren, [13]Duschka holt sie ab. Zum Abendessen 2 Flaschen Weißwein, Skat mit dem Opa, noch im Musikzimmer Münster gehört.

[14]. Traum: in der Stadtbahn in Berlin, Lehrter Bahnhof Bellevue, die Geleise sind beschädigt, der Zug [15]stößt und schwankt, etwas fällt mir auf den Kopf (eine Matratze aus dem Gepäcknetz). Immer wieder diese Luftangriffsträume von Berlin. [16]Herrliches Sauerlandwetter, Post (die Fakultät schickt den Entwurf einer neuen Verwaltungsvorlesung) alles nur Vorbereitung, erleichtert. [17]Nachricht von dem schweren Angriff auf Frankfurt in der Nacht vom Montag auf Dienstag. Kann also nicht nach Frankfurt reisen, [18]was mir recht ist. Arbeite etwas an der Sache für das Postministerium, rührend wenig. Dann Spaziergang in den Saley, ½ 12 [19]wieder in dem weichen Gewebe meiner tröstlichen Jugenderinnerungen; ohne Habe, in vollem Sein. Herrlich, auf der Höhe des Saley, über Basaltgrube zurück, [20]die Berge träumen in sich hinein in der gläsernen Luft. Nagelte einige Kisten, machte die Bahnkisten auf, aß bescheiden zu Mittag und schlief wie tot 2 Stunden [21]bis 4 Uhr. Was soll das hier, ich bin völlig arbeitsunfähig und passiv. Trank Kaffee, Telegramm von Frau von Schnitzler, dass ich mit Duschka kommen soll, [22]doch war das Telegramm vom 2/10. Schrieb ihr gleich einen Brief (weil Duschka mir das sagte), dass wir nicht kommen können, schrieb ich den Vers: [23]Dieser Zeit miteingegoren, ging die Habe mir verloren, und, unter dem Eindruck des unglaublich schönen Herbsttages: sollst du umsonst [24]gewesen sein, du selig silberblauer Tag? Brachte den Brief zur Post und ging dann den Graben herauf, zum Böhl, über den Friedhof zurück. [25]Wunderbare Gebirgslandschaft, die Bergkegel wie in einem herrlichen langsamen Rhythmus, der zunehmende Mond in der Mitte ganz [26]hell darüber, den Nebel überwindend. Ruhig und ergriffen, am Grabe der Mutter (Mutter verloren, Habe verloren, was bleibt?) [27]Um 7 wieder zu Hause und mich auf die Flasche Rotwein gefreut. Heute Mittag und heute Abend in wunderbarer silberblauer Luft. Die Glocke des [28]Angelus gehört und den Angelus gebetet. Das ist noch stärker als die Leichen und die Abdecker hoffen. Abends beim [29]Essen fragten wir Üssie nach dem schönen Brief, den Anima geschrieben hat und was sie als Lehrer dazu zu einem solchen Kind sage, sie antwortete ausweichend: [30]‚euer Sprössling‘. Abends noch 2 Flaschen Wein getrunken, mit Duschka im Musikzimmer gesessen, Radio gehört, sie ging [31]todmüde um 11 1/2 zu Bett, ich blieb noch bis ½ 1. Der finnische Minister hat angeblich gegen die Judenverfolgung in [32]Dänemark protestiert.

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[1]. Traum: Tagung der Professoren der Rechtswissenschaft. Sehe Ritterbusch herumstreichen, gehe nicht in die Sitzung, hinterher und zwischendurch spreche ich aber mit [2]einigen, ein besonders ekelhafter, kaltschnäuziger Hund und Lümmel ist dabei, man spricht vom Rechtsstaat, Positivismus usw. Nicht gut ausgeschlafen, [3]aber schönes Frühstück, schrieb mein Gutachten über Egger fürs Reichserziehungsministerium, schöner Brief von Popitz, es freute mich, dass er meinen Aufsatz [4]über die letzte globale Linie mit Zustimmung gelesen hat. Nagelte 3 Kisten, zur Bahn, um die Züge nach Menden zu sehen, will morgen Adams besuchen, [5]freute mich auf den Weg nach Küntrop. Schlief nach dem Essen, um ¼ 4 kam Ännchen und sagte mir, dass Emil Langenbach da ist und mich zum [6]Spaziergang abholen will, er unterhielt sich nett mit dem Vater, wir gingen zum Ibsenstein, sehr nett unterhalten (über seine Reise nach Tirol, etc., [7]sein Ohrenleiden, ich sagte ihm: hier mit der Außentruppe oben; das Kentern der Gesellschaft Deutschlands, wie er sich ausdrückte, Land und Meer, das ihm gut [8]gefiel und auf das er immer wieder zurückkam, Bismarck und die Kleider, etc., sehr sympathisch, lud ihn zum Rotwein ein, wir tranken eine Flasche zusammen, Duschka [9]kam auch hinzu, entzückender Junge, mit seiner Unbefangenheit und Knabenhaftigkeit, um 7 1/4 ging er. Wir aßen zu Abend, [10]tranken eine Flasche Moselwein dazu, spielte mit dem Vater Skat, ging um 11 ins Bett. Duschka hat den ganzen Tag gewaschen.

[11]. Traum: bei Spiegel, wir sollen in ein Restaurant Terra gehen, ich gehe gleich hin aber [12]ist ein Flaschen-lokal, ging herum, komme zu spät usw. [13]Um 9 auf, steifen Hals, die arme Üssie ist weinend nach Hagen gefahren, weil sie das Klavierspiel von Ännchen nicht mehr aushält. Armer [14]Schmitt. Frühstückte, nahm Butterbrote mit und marschierte über den Graben nach Affeln, dort einen Augenblick in der Kirche, nach [15]Küntrop, bei Kühling's Haus vorbei, hatte aber keine Zeit zum Grab zu gehen. 12:30 mit dem Bähnchen nach Menden gefahren. [16]Angst vor dem Würgegriff. Gemütliche Fahrt. Die idyllische Strecke von Affeln herunter ins Tal; der Appell bei Kühlings. Um 1 in [17]Menden, scheußliches Nest, suchte den Westwall und war schnell bei der Wohnung von Adams, aber Adams war nicht zu Hause, er sei [18]mit seiner Schwägerin nach Kenkhausen gefahren und kommt erst abends zurück. Schöne Überraschung. Kam mir sehr dumm vor, wollte aber doch Grüße hinterlassen. [19]Die Haushälterin führte mich in die Wohnstube, wo der Vater Adams am Tisch saß und zu Mittag aß. Lächerliche Ähnlichkeit mit Alfons Adams, stiller [20]höhnisch-ironischer Tonfall. Er sagte er kenne die Gegend von Plettenberg-Küntrop nicht, von Personen und mir sei viel in seinem Haus gesprochen worden. [21]Erzählte verbittert, dass er in den Ruhestand versetzt worden sei, ein selbstgefälliger, egozentrischer Schulmeister. Ich ging um ½ 2 weg, [22]gleichgültig, fast amüsiert. Ich besah noch etwas Menden, ging in die Kirche und fuhr um ½ 3 mit der Bahn wieder nach Küntrop zurück. Dort zum [23]Grab von Anton Küling, das ich aber nicht fand, noch in das Haus Küling, die Schwester Küling und seine Schwägerin (der Bruder Johannes war gerade weggegangen) [24]waren rührend, boten mir Kaffee und Butterbrote an, ich trank eine Tasse Kaffee, unterhielt mich nett, über Grete, die Mutter (der ) [25]die Kreuzigungsgruppe an der vergrößerten Kapelle in Balve, das tat mir alles gut. Um ½ 5 zu Fuß über Affeln zurückgestiefelt. Todmüde, [26]fürchterlich verschwitzt, traf auf der Straße in Eiringhausen Duschka und Üssie, ging mit ihnen, trank bei Henke dummerweise kaltes Bier, [27]Nachricht, dass wegen Bahnsperre unsere Möbel nicht kommen. Traurig nach Hause, eine Flasche Pfälzerwein getrunken und früh zu Bett. Morgen Jup. Steifer Hals.

[28]. Bis 10 im Bett, gut ausgeruht, schrieb 4 Briefe (an Alfons Adams wegen Alfons Adams, an Jünger, ) [29]Wollte um 11 Radio hören, aber es war kaputt, verwirrt wollte es Fräulein Geschke in ein anderes Zimmer tun. Brachte die Briefe zum [30]Kasten und schlief nach dem Essen im Zimmer von Ännchen, während Josef Schröder die Möbel umräumte mit Hermann Krach. [31]. Traum: in der Stadtbahn Berlin, Lehrter Bahnhof Bellevue, die Geleise sind beschädigt, der Zug [32]stößt und schwankt, etwas fällt mir auf den Kopf (...-tasche aus dem Gepäcknetz). Immer wieder diese tiefen Angriffsträume von Berlin. [33]Herrliches Sauerländer Wetter, Post (die Fakultät schickte, den einer neuen Verwaltungsvorlesung) alles nur Vorbereitung, erleichtert. [34]Nachricht von dem schweren Angriff auf Frankfurt in der Nacht vom Montag auf Dienstag. Kann also nicht nach Frankfurt reisen, [35]was mir recht ist. Arbeite etwas an der Statut des Postministeriums, rührend wenig. Dann Spaziergang in den Saley, ½ 12 [36]

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[1]Trank um 5 mit Josef Schröder und Krach ein Glas eine Flasche Rotwein, aßen Butterbrote dazu (Krach erzählte, dass er in der Eisenbahn 1932 [2]während des großen Processes in Leipzig meinen Namen gehört habe, ein Schmitt aus Eiringhausen, hatten sich 2 Herren erzählt). Um ½ 7 [3]zur Bahn, Jup abgeholt auf dem Bahnsteig. Guter Junge, wir aßen herrlich zu Abend, Duschka hatte gekocht, tranken viel Wein [4](Trittenheimer, Forster , Rotwein) bis 1 Uhr, viel gelacht, der nihilistische Jup über seinen Bruder als vatikanischen [5]Diplomaten, im Grunde traurig, verlorener Sohn von Bosch. Morgen um 7 muss er schon wieder abreisen (am 16. soll ).

[6]. Um 6 auf, schnell sehr frisch, schöner Kaffee zum Frühstück, Ännchen und Üssie brachten Jup zur Bahn, ich fuhr [7]mit ihm nach Attendorn. In Finnentrop Streit mit einem dummen Schaffner und einer autoritätssüchtigen Bahnhofsvorsteherin, lächerlich, weil wir [8]über die Geleise gegangen waren, statt durch die Unterführung. Große Aufregung, etwas wie Braukeller, Jup ist dabei streitsüchtig und sehr [9]frech; wir wurden aufgeschrieben und lachten darüber. Der Zug hielt vor Attendorn wegen eines Schienenbruchs. Die meisten Leute stiegen aus und [10]gingen zu Fuß. Vorgeschmack der kommenden Dinge, wenn der Transport zusammenbricht. In Attendorn in der Kirche, Predigt (über die [11]Gleichheit der Menschen, ohne die es keinen Frieden auf Erden gibt) aber nicht interessant, noch in der Gymnasiumskirche, im Ganzen eine ausgestorbene Stadt, [12]um 9 an dem Bach entlang, den ich als Gymnasiast besungen habe, herrlicher Weg im Nebel, über Rauterkusen, Vierkreuze, [13]Sonneborn, Gansmecke nach Plettenberg, wunderschön, aber furchtbar geschwitzt. Blick von Sonneborn, auf die Höhen. [14]Weit weg von dieser Zeit. In Plettenberg am Alten Wall traf ich Langenbach, gab ihm Die letzte globale Linie, zu Hause schönes [15]Mittagessen, das Duschka gekocht hatte, nachher nicht gut geschlafen, obwohl ich die Nacht nur 4 Stunden geschlafen hatte. Um 5 wieder Kaffee, [16]Brief an Weber geschrieben, abends an Hodler, allmählig wird es ernst, aber meine Lage ist doch einfach lächerlich, ohne Bücher, [17]ohne Arbeitsraum, ohne Winterkleider und Wäsche. Überlege was ich Popitz schreibe. Nach dem Abendessen mit dem Vater Skat gespielt. Angst [18]um Ännchen, die mit Fräulein Geschke zum Graphologen ist und noch nicht zurückkam. Sehe sie im Wald herumirren. Sie kamen aber um ½ 10. [19]Duschka schrieb fleißig Briefe. Eigentlich ist das wunderschön hier, möchte gar nicht mehr nach Berlin. Schöner, hilfsbereiter Brief von Ziegler.

[20]. Gut ausgeschlafen, Duschka schlief weiter, frühstückte und schrieb an Popitz (will Urlaub nehmen, wegen Budapest) [21]langer Brief, brachte um 12 alles zum Kasten. Herrliche Sonne, sehr warm, über den Schützen-weg und den Kamp zurück. Wieder im Mantel Duschkas. [22]Aber da war ja nichts los. Muss ich doch nach Berlin? Grauenhaft, diese Ungewissheit. Nach dem Essen schön geschlafen, nachher schauerlich zerschmettert; grauenhaft. [23]Plötzlich Alarm, Erleichterung, aber schnell vorbei. Schönen Kaffee getrunken, Wut über die luftpolizeilichen Vorschriften. Armes Objekt der Begierde, [24]du bist nur der Staatsphilosoph. Alles musst du bezahlen, armer Teufel. Erschrecke über das herrliche Wetter. Mit Duschka zum Grab der [25]Mutter spazieren. Schöner Abend, über den Graben, den Weg zur Mühle, zum Bühl, der Mond ist bald voll; ich hielt meiner Frau eine Vorlesung über Sozialismus. Rührende Situation. [26]Abends machte Duschka Eierkuchen, wir mussten eine Stunde warten bis sie fertig war, der Opa stöhnte; grauenhaft diese Unpünktlichkeit. Trank eine Flasche [27]Rotwein und bessere Laune, wir spielten noch Skat, um 11 ging ich zu Bett, Duschka schwatzte noch mit Üssie bis 1 Uhr nachts.

[28]. Miserable Nacht, schauerliche Zahnschmerzen, Herzbeschwerden, völlig zerschmettert, Traum von Oberheid, der den Unterschied von [29]Stahl- und Eisenhandel entwickelt, und schicke ein Telegramm: Oberrisch erscheint und lacht. (Duschka hat von Koschewnikoff

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[1]geträumt: Sie sieht Riesen, Koschewnikoff kommt und sagt: Es ist Frieden, über Spanien). Medem zwischendurch des Nachts gelesen. Ekelhafte Unfähigkeit und Passivität. [2]Um 9 müde auf, Spaziergang über den Saley, um 10 zurück und gefrühstückt. Was soll ich tun? Während des Spaziergangs am Saley einen Augenblick [3]aktivistisch, dann wieder diese furchtbaren Depressionen, Hypotonie? Als ich wie der verlorene Sohn in mein Vaterhaus zurückkam, wurde kein [4]Festmahl veranstaltet, wohl aber der von mitgebrachte Kaffee getrunken. Dieses Mal findet sich nicht, wie im Februar 15, ein Jude der mich herauszieht. Schrieb an dem [5]Gutachten fürs Postministerium, dann kam viel Post (Frau von Schnitzler eine Karte; Adams eine Wirtschaftspaketkarte, widerlich; ein Brief von Höhn, volle Teilnahme, was [6]mir sehr gut tat und mich plötzlich tröstete, gestehe es nur, du Feigling; von Medem, rührend; kroatische Zeitschrift usw.) Plötzlich bin ich wieder in der Welt, und [7]die Depression ist vorbei. Schlafe etwas nach dem Essen, und machte dann einen herrlichen Spaziergang zum Strickhagen und zum Kreuz, wunderbare Einsamkeit, schöner [8]Abend über dem herbstlich bunten sauerländischen Bergen. Ruhig zurück, zum Abendessen eine Flasche Rotwein (neuer Wein durch Spohr ist unterwegs), [9]Ännchen saß mit am Tisch, sprang aber wie ein nervöses Hündchen auf, als Fräulein Schneiders kam, grauenhaft diese Abhängigkeit und Hörigkeit [10]von Fremden. Ging früh zu Bett, während Duschka noch mit Üssie Strümpfe stopfte. Ich las noch Cusanus; heute den [11]ganzen Nachmittag sehr glücklich über einige Sätze in Weizsäckers Wahrheit und Wahrnehmung. Habe auf dem Spaziergang zum + Wasses Entwurf mit [12]Freude gelesen. Der tägliche Angelus der Kirche von Eiringhausen oder Plettenberg.

[13]. Herrlicher Morgen, glücklich und zufrieden, mutig und überlegen. Nach dem Frühstück mit Duschka zusammen eine Nachnahme von der Post geholt, [14]es war wahrhaftig der Kaffee von Reuschenbach. Große Freude, aber betrübt durch die Hörigkeit Ännchens und die ekelhafte Perspektive, die sich daraus ergab. [15]Unglaublich schönes Wetter, blauer Himmel. Schrieb an das Harnack-Haus, wegen einer Wohnung mit Ein...r. Morgens Alarm. Nach dem Mittagessen auf den [16]Saley, unglaublich schöner Herbsttag, blauer Himmel und bunte Wälder, auf dem Ibsenstein Weizsäcker Wahrheit und Wahrnehmung gelesen und mich meiner [17]Jugend erinnert, über die Höhe des Saley; als ich in der Nähe der Bracht war, wieder Tagesalarm (½ 4). Dachte gerührt an Mutius, [18]der mir 3 Flaschen schönen Bordeaux geschickt hat, Blick auf Wildewiese, ergriffen von dem ‚Zug‘, von der Bewegung dieser ruhenden Berge, dazu Weizsäcker gelesen. [19]Um 5 zu Hause Kaffee getrunken, eine Stunde im Bett ausgeruht, zum Abendessen eine Flasche Rotwein, zu der ich auch Ännchen einlud, sie ging zu einer [20]Geburtstagsfeier und wir sahen, wie die arme Mutter darunter gelitten hat, dass sie niemals zu Hause blieb und zu Fremden lief, spielte mit dem Vater [21]Skat, dann bald ins Bett. Der tägliche Angelus der Kirche von Eiringhausen oder Plettenberg

[22]. Traum: die Wohnung in Dahlem ist wiederhergestellt, sehr schön und freundlich, Cari ist da, scheußliche Jahre mit ihr, schlecht geschlafen [23]bis ½ 10 ausgeruht, behaglich gefrühstückt; Briefe geschrieben an Medem, Pfeiffer, Mutius und zum Kasten gebracht. [24]Nach dem Mittagessen herumgelegen, Spaziergang auf den Weg von Ohle Richtung Affelner Chaussee. Unbeschreiblich schönes Wetter, aber die Zeit verrinnt, [25]und der Krieg hört nicht auf. Bei Frau Pfeiffer vorbei, um sie für übermorgen einzuladen, aber nicht getroffen. Mit Duschka Üssie von der Bahn abgeholt, [26]traurig in diesem Gegeneinander der Neurosen zweier Schwestern. Zum Abendessen eine Flasche Rotwein aus Koblenz (durch Spann) war aber nicht [27]gut, um 9 schon zu Bett, traurig wegen Ännchen. Der tägliche Angelus.

[28]. Herrlicher Morgen, ein paar Schritte den Berg hinauf (Frau Almsick kam und sprach mich an) dann schönes Frühstück. [29]Schöne Post, schrieb mein Urlaubsgesuch, will es aber erst morgen abschicken. Zur Post, bei Frau Pfeiffer vorbei, rührende Frau, sie [30]muss alles selbst arbeiten. Nach dem Essen eine Stunde im Bett, um ½ 4 mit Duschka und Üssie nach Plettenberg, dort

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[1]in der Post vergeblich ein Glückwunsch-Telegramm zum 75. Geburtstag von Epp aufgegeben versucht (hinterher fiel mir ein, wie einfach [2]das ist, wenn man es nicht als Prinzip, sondern als Formulierungsfrage ansieht) beim Friseur, wo aber schon zu viele warteten, dann durch den [3]Hestenberg, Fahnenstange, Bdgn Weg, Hexentanzplatz, durch Bommecke zurück. Herrlicher Abend, oh bewege die wahre [4]Kraft, was du bist, hilf... Zu Hause eine Flasche Trittenheimer getrunken, mit Ännchen ein Glas, dann noch einen schlechten Rotwein aus Koblenz, [5]nach dem Essen wieder Skat gespielt, und müde zu Bett. Heute wieder mittags und abends der tägliche Angelus.

[6]. Traum: von den Bischöfen der Deutschen Christen, Schulz, Oberheid, schlechter Eindruck, verlogen, peinlich. Schöner Spaziergang [7]auf den kleinen Landigel, herrliches kaltes Wetter, die Sonne kam schon, traf auf dem Rückweg Fleger, dann gefrühstückt. Ziemliches Kraftgefühl, Genehmigung der [8]Reise nach Portugal aus Berlin, Üssie wird Lehrerin in Lettmecke, schickte das Urlaubsgesuch ab, dagegen noch nicht den Einschreibebrief an [9]Adams mit meinem Pass (16!) Spaziergang den Graben herauf, das schöne Wetter war zu Ende, immer noch schöner sterbender Herbst, [10]auf dem Graben über die Bremcke zurück, der tägliche Angelus der Kirche von Eiringhausen, um 12 Uhr. Nachmittags um 4 kam Frau Pfeiffer, [11]Duschka fühlte sich nicht wohl, wir tranken Kaffee, der leider zu stark war, sie hatte Kleinigkeiten, Papier, Nägel usw. mitgebracht. Rührende [12]Frau, einige Sekretärs-Zeitschriften, Aprilputsch, eschatologisch, wir aßen herrlichen Käsekuchen, Patinier gedeckt, eine Flasche Ingelheimer hat sie auch [13]mitgebracht. Begleitete sie um 7 zu ihrer Wohnung, trank die Flasche Ingelheimer, spielte mit Üssie und dem Opa Skat und [14]ging um 11 hungrig zu Bett. Fügte noch an Eggert ein Heft der Zeitschriften von Frau Pfeiffer mit einer Fabel vom [15]Richter und dem Anwalt Rechtsschwund. Abends Telegramm von Adams: Termine in Budapest am 9. und 11. Sah die schauerliche Fremdheit Ännchens.

[16]. Wunderbar ausgeruht. Aber scheußlicher Eisenbahn- und Gepäcktraum (der amerikanische Reisekoffer geht verloren). [17]Nach dem schönen Kaffee Brief an Adams noch einmal geschrieben (erst nach Ungarn, dann nach Portugal), einige andere Briefe, Brief von Hodler, [18]es ist immer noch nichts mit den Möbeln, nach dem schönen Mittagessen sofort mit Üssie an die Lettmecke gegangen, wo sie eine Stelle als Lehrerin bekommen [19]hat, langweiliger Weg über die Chaussee, bei dem Lehrer Schulte und seiner netten Frau gut aufgenommen und zum Kaffee und Kuchen eingeladen. Der [20]Lehrer – magen- und herzkrank – und Bienenzüchter, da sitz ich nun als der Professor aus Berlin und bin kein armer Teufel im Vergleich zu diesem [21]Dorfschullehrer. Wir gingen fröhlich zurück, bei wässrigem Wetter, sahen viele Russen und russische Mädchen spazieren gehen, kamen um ½ 6 [22]wieder nach Hause, aßen schönen Käsekuchen und ruhten einen Augenblick aus. Nach dem Abendessen kam Rechtsanwalt Küchen, spielte mit [23]Ännchen auf 2 Klavieren, während wir mit dem Opa Skat spielten. Trank nachher noch eine Flasche schönen Forster mit dem Rechtsanwalt, unterhielt mich [24]über Musik, Meyerbeers Einfluss auf die Oper des 19. Jahrhunderts, er ging erst um 12. Ännchen war müde und aß noch [25]einige Stücke Butterbrote mit Butter, Wurst, Käse, ein grauenhafter Anblick, diese Fressgier. Ich gab ihr noch Wein, kam mir [26]aber erbärmlich vor. Duschka ist müde und krank.

[27]. Allmählig naht das Ende meiner eingelegten Idylle und Galgenfrist. Stand um 8 ¼ auf, um mit [28]Üssie nach Hagen zu fahren. Ich hatte aber Bedenken, das Bild von Gilles selbst zu holen (vielleicht hat dieses Bild mir die Luftmine zugezogen). Üssie machte mir [29]schönen Kaffee, ich begleitete sie zum Bahnhof, gab Einschreibebrief auf (an Adams mit meinem Pass, den Passport) traf Frau Pfeiffer, dann ein paar

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[1]Briefe geschrieben, über den Saley nach Plettenberg, um die Haare schneiden zu lassen, aber der Friseur hatte geschlossen. Rheumatischer oder Grippe-Schmerz im linken Hinterkopf. [2]Mit der Kleinbahn um ¼ 12 nach Eiringhausen zurück, zu Mittag gegessen, Duschka ist aufgestanden, aber noch krank, Ännchen und Geschke furchtbar, [3]Ännchen bat mich um ein ½ Lot Kaffee, ich fand das unverschämt, gab es ihr aber, ging voller Ärger zu Bett, ruhte es aus, aber immer noch [4]eine Art Kopfkrampf, um 5 aufgestanden, grauenhaftes Klavierspiel den ganzen Nachmittag, die arme Duschka kam zurück aus Hagen, schwer beladen, [5]Duschka wollte aufstehen. Üssie kam von Hagen zurück, wir tranken schönen Kaffee, der mich wieder munter machte, Üssie war lieb und sympathisch, nachmittags mit Duschka in Plettenberg, bei Geck dem Schuster, in der Dunkelheit zurück. [6]Der große Bär. Abends trank ich zum [7]Abendessen die Flasche Rotwein zu Ende und ging früh zu Bett, während Duschka noch arbeitete.

[8]. Wieder besser, nachdem ich lang genug im Bett gewesen war, Gefühl der Hilflosigkeit und Zerschmetterung. Nach dem Frühstück (Brief von Djuvara) [9]mit Duschka zum Amt, dort 2 Stunden auf Lebensmittelkarten gewartet, den Bürgermeister gesehen, meinen Vortrag für Budapest überlegt, der [10]anarchistische Affront gegen diese Termitisierung. zurück, immer furchtbar geschwitzt, nach dem Essen etwas Ruhe und schon um 3 zur Stadt, [11]versuchte, beim Friseur anzukommen, vergebens, bei Geck die Schuhe machen lassen, beim Anwalt Küchen das Ms. des Nomos. Es war gut. Traurig zurück und ins Bett gelegt. Heute einige Begegnungen mit [12]Büchern: Tardif de Moidrey, und Reinhold Schneider, Macht und Gnade, (Chamisso) den Gillesgeschickt hatte. Zum Essen auf[13]gestanden, Üssie ist von Lettmecke zurück, eine Flasche Trittenheimer, schmeckte gut, gab Ännchen ein Glas, obwohl sie fürchterlich hysterisch war, spielte mit dem Vater Skat, Ännchen fing um [14]8 wieder an zu üben, scheußlich, Üssie wurde wütend, schließlich baten wir Ännchen um 10 Uhr, aufzuhören, sie machte eine große Szene, heulte und wurde schwer [15]hysterisch, ich sprach noch eine halbe Stunde mit ihr und sah zu meinem Schreck, dass sie unheilbar ist, mich aus ganzer Seele hasst und [16]unausstehlich findet, dass ich am Sonntag Abend bei dem Rechtsanwalt mit meiner Flasche Wein eine lächerliche Rolle gespielt habe, dass sie mich in [17]Bonn immer ekelhaft und anmaßend gefunden hat. Also alles umsonst. Traurig zu Bett, todmüde, aber nervenmäßig zerstört.

[18]. Schlecht geschlafen, Ekel von dem gestrigen Gespräch. Erst gegen 10 auf, Brief von der Fakultät, aber noch keine [19]Stellungnahme zu meinem Urlaubsgesuch. Um ¼ 11, als ich mir gerade, nach dem Frühstück, behaglich Notizen machte (über die Conquista und [20] Bruno Bauer) fiel der Vater plötzlich, im Esszimmer, zu Boden und schlug sich über dem linken Auge den Schädel blutig. Wir hoben ihn auf, Duschka [21]sorgte gleich rührend, Fräulein Geschke blieb pomadig, brachte ihn zu Bett, nachdem Duschka die Wunde ausgewaschen hatte. Rührend, der [22]alte Polterer, wie er, nachdem der erste Schreck vorbei ist, gleichgültig bleibt gegen sein eigenes Unglück. Ich half ihm beim Auskleiden [23]und ging zum Schreibtisch zurück. Unmögliche Existenz. Schrieb an Popitz, Höhn und nach Affeln und brachte den Brief noch zur Bahn. Nach dem Mittagessen geschlafen, [24]der Arzt Wilms kam und stellte fest, dass die Verletzung des Vaters ungefährlich ist. Wir tranken fröhlich Kaffee, die gute Duschka war rührend. Während des [25]Nachmittagsschlafs wurde mir die hysterische Gemeinheit Ännchens mit Schreck bewusst, so kann man nun von seiner Schwester beleidigt werden. Aber das [26]ist die Antwort aller meiner Bemühungen und meiner Gutmütigkeit, im Falle Günther Krauss war es ähnlich, und wenn Ännchen die Mutter so schlecht [27]behandelt hat, kann sie mich nicht besser behandeln. Zwischendurch las ich Reinhold Schneider, hochinteressant, aber unangenehmer Edelschmus und [28]existenziell falsch. Doch ist er ein Zuträger interessanter Zitate. Ging um 6 durch den Saley spazieren, im Dunkel und Nebel, Erinnerungen an die [29]Spaziergänge des Gymnasiasten und Studenten, Pubertätserinnerungen mit Klärchen Dierkes, Flucht in die damals gebauten Gehäuse meiner [30]Neurosen. Zu Hause war der Vater bei Ännchen und hörte zu, wie sie Unterricht gab. Ich korrigierte mein Manuskript über den Nomos [31]und fand darin einigen Trost. Duschka war mit Üssie zum Einkaufen. Abends eine Flasche Wein, Ännchen übte im kleinen Musikzimmer.